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...Bloß Werkspiloten

Dietmar Martin Apel / ... Bloß Werkspiloten
Roman

470 Seiten, Taschenbuch
Verlag: Bucheinband.de 2014

Format: 13,5 x 21cm
Titelbild: Originalfoto eines Flugzeuges ohne erkennbares Abzeichen
"FH 104" beim Jungfernflug
Zahlreiche Fotos von Originalen am Ende des Buches

 

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14,90 EUR

Produkt-ID: 978-3-938293-37-9  

Preis enthält 7% USt.
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In Erinnerung geblieben sind die großen deutschen, englischen, amerikanischen und sowjetischen Flugzeughersteller und ihre Konstrukteure. Legendär wurden die Typen ihrer jeweiligen Flugzeuge und Bezeichnungen.
Hochdekorierte Piloten wurden vergöttert.
Wer aber hat je an die Menschen gedacht, die diese Flugzeuge tatsächlich erst zum Fliegen brachten? Hat man ihnen je gedankt, ihnen Anerkennung gezollt, sie geehrt?
Diese Frage gilt für alle an Konflikten beteiligten Seiten. Die vergessenen Männer waren die ersten, die mit allen möglichen und denkbaren Flugzeugmodellen starteten. Und wie oft gaben sie überall auf der Welt dafür ihr Leben. Oder wurden für immer verkrüppelt. Formal waren das aber immer „nur Arbeitsunfälle“.
Der fliegerische Nachwuchs kam ja ohnehin „aus der eigenen Zucht“. Viel zu oft waren diese Männer bereits für die mittlere Chefetage bloß Werkspiloten.
Ebenfalls problematisch war in diesen Zeiten das Thema Spionage und Sabotage. Auch Werkspiloten wurden Opfer von gezielter Sabotage. Wurde das jemals offiziell erwähnt?
Nein.
Waren sie doch bloß Werkspiloten.

Der in diesem Roman agierende fiktive General von Kettenberg ist dieser Ansicht gänzlich abgeneigt. Aber damit steht er auch sehr allein.

 

 

Dietmar Martin Apel wurde 1956 im sächsischen Freiberg geboren. Seine Kinder- und Schulzeit verlebte er in dem Vorerzgebirgsdorf Braunsdorf bei Freiberg. Die dreijährige Lehrzeit (Rinderzucht mit Abitur) absolvierte er im damaligen Karl-Marx-Stadt. Dem Militärdienst schloss sich die Tätigkeit in Betrieben des Außenhandels der ehemaligen DDR an, z.B. DEUTRANS und andere Hafenbetriebe. Aus der 1976 geschlossenen Ehe sind 2 Söhne hervorgegangen. Seit der Wende 1989 lebt Dietmar Martin Apel allein und ist freischaffend tätig. Das Bemühen, historische Originaldokumente für spätere in der Geschichte fußende Romane zu beschaffen, nahm Jahre in Anspruch.

Heinz Achim Zimmermann wurde 1946 in Dresden geboren und verbrachte seine Schul- und Lehrzeit ebenfalls in Dresden. Er absolvierte eine Lehre als Maschinenbauer.
Dem Wehrdienst schloss sich ein dreijähriges Studium an der Ingenieurschule Rudolf Diesel in Meißen an. An der TU Dresden schloss er das fünfjährige Studium erfolgreich ab mit dem Titel des Diplomingenieurs. Er war auf technischen und kaufmännischen Gebieten in verschiedenen Betrieben der damaligen DDR tätig. Aus seiner der Ehe ist ein Sohn hervorgegangen. Nach der Wende 1989 war er selbständig tätig. Er ist seit 2000 verwitwet und lebt heute in Dresden.
Das Bemühen, historische Originaldokumente und Gegenstände für spätere in der Geschichte fußende Romane aufzuspüren, führte beide Autoren vor Jahren zusammen. Alle hier abgebildeten Fotos befinden sich in Privatbesitz.

 

 



Werksflugplatz Fa. Focke Wulff
Bremen, 19. März 1936


Der Werkspilot saß in der Kanzel seiner Maschine und schaute auf die Armaturen vor sich, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Seinem Copiloten erging es nicht viel anders.

Der Chefkonstrukteur von Focke Wulff persönlich hatte sie eingewiesen. Immer wenn diese Art der abschließenden Einweisung erfolgte, war es allen Beteiligten klar, dass Prof. Tank in schwerer Sorge war. Mit Sicherheit kannten alle Anwesenden den ersten Glaubensgrundsatz aus dem allgegenwärtigen, aber niemals niedergeschriebenen ›Kleinen Katechismus‹ aller Werkspiloten der Welt, der da lautete: Es kann gar nichts passieren.

Passieren sollte auch rein flugtechnisch gesehen jetzt nichts, denn die ›Condor‹ war zu diesem Zeitpunkt internationale Spitzenklasse. Ein exzellentes Flugzeug und ein echtes ›Pfund‹, mit dem man wuchern konnte.

Andererseits war allen hier auch bekannt, dass man gar nicht .

Aber schließlich hatte man schon , und ein tröstlicher Gedanke aus dem Werkspilotenkatechismus besagte:

Doch oberstes Gesetz war, dass man einem Professor Tank zuhörte. Und keinesfalls widersprach. Heute ging es aber nicht um das Flugzeug selbst. Und auch nicht um sein Verhalten in der Luft und diversen Situationen. Die ›Condor‹ war auch mit zwei laufenden Motoren flugstabil und flog ruhig und zuverlässig. Die heute startende Maschine aber war etwas Besonderes. Ihre Rumpflänge war um fast ein Drittel gekürzt. Dafür war eine verstärkte und gepanzerte Rumpfwanne eingebaut worden. Dadurch wurde die Maschine noch schwerer und konnte die bekannte Gipfelhöhe nicht ganz erreichen. Aber das war eigentlich völlig unwichtig. Aus den ›Condor‹ sollte die Regierungsflugstaffel gebildet werden. Auch die Namen der Maschinen standen schon fest. ›Ostmark‹, ›Nordmark‹ sollten sie heißen. Und so wurden sie auch genannt.

Natürlich sollten exzellente Piloten die Regierungsmitglieder später auch unter hoffentlich niemals eintretenden Umständen . Aber bis dahin gab es noch so Einiges zu tun.





Jetzt und heute ging es um eine absolute Einmaligkeit bei Focke Wulff. Bei dieser Maschine war in den Frachtraum eine Bodenluke eingebaut worden. Auf dem Lukendeckel stand ein solider Sicherheitssessel, der von fast allen Seiten mit einem Stahlmantel umgeben war. Das Nahfeuer eines Maschinengewehres hielt diese Wandung problemlos aus. Im äußersten Notfall sollte der in diesem Sessel Sitzende durch die nach unten aufklappende Luke das Flugzeug verlassen können. Auch unter Beschuss. Im freien Fall wäre er dann ja wohl so gut wie nicht zu treffen. Durch einen Fallschirm, dessen Reißleine im Flugzeug verankert war, sollte der zu Rettende aus dem Sitz gezogen werden und an einem Fallschirm zu Boden sinken. Der gepanzerte Sicherheitssitz würde durch sein Gewicht einen Loslösemechanismus auslösen und autonom herunterfallen. Hauptsache war, dass der gerettete Mensch heil und gesund blieb.

Diese Einrichtung selbst hatte einen Irrsinnsaufwand gekostet. Aber darüber sprach man bei Focke Wulff nicht. Andere im Flugzeug verbliebene Personen sollten dann das Flugzeug über eine zu öffnende Heckklappe verlassen. Tunlichst mit den mitgeführten und dann anzulegenden Fallschirmen. Natürlich schnellstmöglich und unter Umständen auch mit einem hinlänglichen Tritt in den Rücken oder dessen Verlängerung. Ging es dann doch ums Überleben aller!

Mit dem Problem der psychologischen Vorbereitung, dass der zu Rettende in Sekundenschnelle auf dem Sicherheitssitz Platz nimmt und sich anschnallen lässt, musste man die Herren der Regierungsstaffel dann wohl allein lassen. Da sollten sie mal zeigen, was sie konnten. Die Großschnauzen, die verfluchten!

So! Nun war alles besprochen und beraten. Jedes weitere Wort würde nur alles Selbstvertrauen schädigen. Professor Tank kannte diese Grenze sehr genau.

Jetzt war an alles gedacht. Jetzt musste bloß noch alles klappen! Das Testen des Rettungsapparates übernahm natürlich auch ein Werkspilot. Nun aber wich Prof. Tank von seiner Regel ab. Die drei Werkspiloten wirkten auf ihn dermaßen vereist und versteinert, dass er sie einfach auflockern musste. Er musste sie beruhigen, mit ihnen reden. Also erzählte er so ganz nebenher, dass seine – ihre ›Condor‹ bei strapaziösem Wetter 1938 bis Tokyo geflogen war. Kaiser Hirohito, der sonst höchst selten den kaiserlichen Palast verließ, hatte die Deutschen auf dem Flugplatz empfangen und jedem Besatzungsmitglied eine Ehrenmedaille überreicht. Das war ein stolzer Moment für Focke Wulff.

Alle nickten dazu. Kannten sie doch die Tokyo-Flieger persönlich. Ja, die ›Condor‹ war auch in New York gewesen. Und ob sie noch wüssten, wie sie alle im Hause gelächelt hatten, als die Herren Amerikaner ihr Flugzeug, die ›DC-2‹ vorgestellt hatten? Hatte sie da ein bestimmtes Vorbild inspiriert? Nanu? Wer hatte denn hier so vollendet gekupfert? Dazu konnte man nun wiederum nichts sagen. Da war man sich werksintern einig. Man hatte bestimmt nichts gegen die Amerikaner. Was konnten die denn dafür, wenn ihre Bleistifte den gingen?

Jetzt hatte er es geschafft! Seine Männer lächelten und nickten ihrem Chef zu. Im Handumdrehen hatte der Platz genommen und gab Bescheid, dass es seinethalben losgehen könne. Aber ein bisschen zügig, wenn er bitten dürfe, denn er habe Weihnachten noch etwas vor.

Jetzt lachten sie die Angst weg. Zum wievielten Mal? Der S setzte noch einen drauf. Wäre es denn nicht an der Zeit, dann, wenn alles klargegangen ist, in der hübschen Bordküche Kaffee zu trinken? In der Luft? Selbst dann, wenn sie eigens dafür noch einmal starten müssten? Drei Werksflieger lachten laut. Der Professor machte ein bedenkliches Gesicht:

»Die Herren wollen bitte an die Benzinrechnung denken«, knurrte er halb im Spaß. Aber er ließ durchblicken, dass man einmal Gelegenheit haben würde, in der eleganten Passagierkabine gemeinsam Kaffee zu schlürfen. Aber erst die Arbeit … Und man werde sehen …

Die abschließenden guten Wünsche, die wie immer noch einmal ausgesprochen wurden, gingen in Donnern der Motoren unter. Tank verließ das Flugzeug.

Erwartungsgemäß dauerte es seine Zeit, bis das Starten und Steigen auf Abwurfhöhe erreicht war. Aber, und das war interessant, die angestrebte Höhe wurde relativ schnell erreicht. Die Bodenluke öffnete sich gerade noch sichtbar von einer Seite zur anderen. Hätte sie sich nach vorn aufgeklappt, also in Fahrtrichtung, wäre sie mit Sicherheit überhaupt nicht aufgegangen. Wäre sie nach hinten aufgegangen, hätte sie der Fahrtwind abgerissen. Das alles schien simpel zu sein, aber bei diesen Geschwindigkeiten und Beanspruchungen musste alles, aber restlos alles im unbarmherzigen Feldversuch bewiesen und bestätigt werden.

Prof. Tank und seine gesamte Entwicklermannschaft schauten nach oben. Da! Die Bodenklappe öffnete sich! Ein dicker dunkler Punkt erschien. Ein Fallschirm, der nach unten raste. Und ein Mensch, der an einem Fallschirm gen Erdboden pendelte.

Der Professor atmete auf. Das schien geklappt zu haben! Doch schon fand er wieder etwas, worüber er sich ärgern konnte. Der Abwurf hatte sehr exakt über dem Werksflugplatz stattgefunden. Und es war klar erkennbar, dass der Sicherheitssessel mit allergrößter Präzision in die glatte Betonfläche des Flugplatzes einschlagen würde. Aber eben wirklich einschlagen. Seine da oben hatten daran nicht gedacht. Na, sie hatten auch so genug um die Ohren. Aber er und seine Leute hier unten hatten auch nicht daran gedacht! Das war verwerflich. Dazu waren sie da, um an alles zu denken! Verschwendung war unverzeihlich! Auch oder gerade bei Focke Wulff.

Ein zu schließendes Loch im Flugfeldbeton. Plus ein absolut zerschlagener Rettungssitz, der als Testobjekt ein Unikat war! Man würde wieder einen herstellen müssen. Hätte das Ding nicht auf eine weiche Wiese fallen können?

Tank konnte sich bereits vorstellen, wie der Sitz nach dem Aufschlag aussehen würde. Der Knall seines Auftreffens übertraf die Erwartungen des Professors. Wie eine Meute begeisterter Jungen sauste seine Mannschaft an die aufgeschlagene Betondecke. Tank ärgerte sich jetzt auch noch über ihre Freude. Und auch darüber, dass sich ärgerte.

Was tat es schon, wenn diese hochqualifizierten halben Kinder ein wenig Spaß hatten? Er wandte sich mit sich selbst unzufrieden ab, um den heranschwebenden lebend am Boden zu begrüßen. Das wiederum tat er ausgiebig und mit ehrlicher Freude und Erleichterung.

Ein paar bereits im Vorfeld aufgekommene Fragen, die bisher noch nicht ausgesprochen wurden, drängten sich aber jetzt mit aller Macht auf:

Was wäre gewesen, wenn sich die Luke nur teilweise geöffnet hätte? Was wäre gewesen, wenn der Sessel gar nicht oder nur teilweise vom Flugzeug weggekommen wäre? Hätte die Maschine landen können? Hätte man den beim Landen zu Tode geschleift? Nichts dergleichen wurde erörtert. Die Freude und Erleichterung machten sich wieder einmal ungehindert in lautem Lachen und Geschrei Luft. Und nochmals eilte nun die ganze Bande zu dem Schrottstück, das einmal der Rettungssitz gewesen war. So sah des Ding also aus, wenn es gut gegangen war …

Aber es hatte alles geklappt! Und nur das zählte. Der Erfolgreiche wurde auch hier nicht gefragt. Die Freude und Erleichterung waren allgemein. Es dauerte gar nicht allzu lange, dann wussten es auch die Werksspiloten: Sie hatten den Rettungssitz für Adolf Hitler getestet.





Episode

Irgendwo in England während des Krieges


Der englische Geheimdienst hatte sich bereits seit Längerem mit einem Mann befasst, der sich so unglaublich britisch gab, dass es schon nicht mehr fassbar war. Englisch war das nicht mehr, was dieser Mann an Perfektion an den Tag legte. Allerdings war ihm von keiner Seite etwas nachzuweisen. Bereits langsam entnervt musste man sich eingestehen, dass dieser so aufrechte Untertan Ihrer Majestät untadelig und integer war. Die Mitarbeiter des Geheimdienstes waren monatelang die Kollegen dieses Mannes gewesen, der in einem englischen Rüstungsbetrieb arbeitete. Im Prinzip hatte man bereits aufgegeben. Was wollte man eigentlich von diesem so exakten, zuverlässigen, verschlossenen, grüblerischen Mann? Sollte man ihm seine Akkuratesse zum Vorwurf machen? Wenn es in diesen Zeiten doch bloß mehr solche Engländer gäbe!

Möglicherweise hatte der etwas von der Observation bemerkt und hatte sich deshalb so sehr in sich zurückgezogen. Sah für ihn so der Dank des Vaterlandes aus? Einen solchen Menschen und Mitarbeiter in diese Situation zu bringen, war doch eigentlich ein Unding! Im nunmehr ehrlichen Bemühen, die Stimmung entkrampfen zu wollen, lud man ihn zu einem kleinen geselligen Abend im Kollegenkreise ein. Dass man am nächsten Morgen wieder pünktlich zur Arbeit erschien, stand ja allerseits fest.

Aber am folgenden Morgen wurde dieser Mann auf seinem Fahrrad fahrend von einem Polizisten angehalten und verhaftet. Trotz langen Aufenthalts in England war ihm für einen Moment entfallen, dass in Großbritannien Linksverkehr herrscht. Auf fast leerer Straße war er ganz selbstvergessen rechts gefahren.

Das zu dieser Zeit noch übliche Kooperationsangebot durch den englischen Geheimdienst wurde von ihm abgelehnt. Daraufhin wurde dieser Mann als Spion angeklagt, verurteilt und gehängt.





Generalluftzeugmeisterei
Berlin, 4. April 1943


»Was? Schon wieder abgestürzt? Wie konnte das bloß passieren? Verflucht noch einmal!«

General von Kettenberg schlug mit der flachen Hand auf die grüne Fläche seines Schreibtisches und stand ruckartig auf. Er ging zum Fenster und schaute völlig sinnlos auf den leeren Platz vor seinem Dienstgebäude. Danach nahm er wieder Platz.

Zwei Verbindungsoffiziere der Luftwaffe und ein Vertreter eines Flugzeugherstellers waren nun auch aufgestanden und zeigten Anzeichen von Betroffenheit. Major Wernicke, sein Adjutant, hatte reflexartig seine Aktentasche unter den Arm geklemmt und stand mit trauriger Miene da. In solchen Situationen litt er ehrlich mit. Er wusste bereits seit Längerem, was er nun bald zu tun hatte, und freute sich keinesfalls darauf. Ab und an teilte er sich diese leidige Pflicht mit seinem Chef. Kettenberg war eben ein ungewöhnlicher Vorgesetzter.

Wieder ein tödlicher Absturz! Beide Verbindungsoffiziere waren aktive Luftwaffenangehörige. Sie trugen das Flugzeugführerabzeichen und das Goldene Sportabzeichen. Mehr nicht. Das war einesteils ihr geheimer Kummer. Hatten doch so viele jüngere Kameraden hohe und höchste Auszeichnungen erhalten. Ihre Feindabschüsse und Einsatzzahlen zählte man fast gar nicht mehr. Auch waren sie schon von Weitem als Aktentaschenträger zu erkennen. Andererseits waren viele dieser um ihre Auszeichnungen heiß beneideten Kameraden bereits tot. Zerrissen, verbrannt, im Meer ersoffen oder erfroren, an Verwundungen gestorben oder bei der Gefangennahme umgebracht. Aber genau darum beneideten sie die Anderen nicht. Auch hatten sie bereits mehrfach gesehen, was von einem Menschen übrigblieb, wenn er mit seiner Maschine verbrannt war. Feuer an Bord, Rauchfahne, Aufschlagbrand, ein qualmender Schrotthaufen, der danach von einer Menge Neugieriger angestarrt wurde. Nein, bloß nicht daran denken! Dann sollten doch besser Kraftstoff und Munition gleichzeitig in die Luft fliegen! Das war möglich an der Front und auch bei Testflügen.

Bei Testflügen allerdings war die Sache noch ein wenig anders. Da war der Sprit rationiert bis auf den vorletzten Tropfen. Der Flieger musste dann wirklich leiden bis zum Schluss. Wenn es ihm nicht gelang, sich mit dem Fallschirm davonzumachen.

Einer der jungen Offiziere hatte einmal halblaut geäußert, dass es eine unerträgliche Belastung sein würde, wenn er sich als Werkspilot auch noch jede Reaktion der Kiste in der Luft merken sollte, um dann am Boden detailliert berichten zu können.

Reagierte das Alte noch wie es reagieren sollte? Und wie machte sich das Neue? Dabei wird dann noch der Sprit umgepumpt, damit der Trimm erhalten bleibt.

Das sei nicht mehr bei allen Flugzeugtypen nötig, sagte sein Kollege. Außerdem gäbe es Füllstandsanzeiger und Druckregler und Pumpwerke im Flugzeug, die automatisch per Füllstandskontakt in Betrieb genommen würden. Also wieder neue Anzeigen, neue Uhren, wurde geantwortet. Was hatte denn das alles mit Fliegen zu tun? War das noch ein Flugzeug oder ein fliegendes Pumpwerk?

Ja, ja. Stimmt, leider. Und auf alles sei dann gleichzeitig aufzupassen. Sicherlich sei dann, wenn die Kiste unten lag, am besten zu erkennen, was die Ursache des Absturzes war, wenn nicht allzu viel Sprit im Tank gewesen war. Dann war eben nicht so viel verbrannt, und die Explosion war nicht so stark. Der Werksflieger aber …

Vielleicht bekam der noch einigermaßen eine Bauchlandung hin, und das Feuer blieb aus? Auch gut möglich, wurde geantwortet.

Aber erst einmal können! Und was nutzte eine , wenn der Pilot danach ein Krüppel war? Bei Gelegenheiten wie dieser drängten sich solche Gedanken immer wieder auf. Hier, in diesem Raum waren die Trauer und Anteilnahme ein jedes Mal echt.

Und doch … So ganz ohne fachlich-technische Überlegungen blieb es auch hier nicht. Das war auch gar nicht anders möglich, zu groß waren die Einbindung und Inanspruchnahme. Dazu kam noch, dass es wieder einmal einen Anderen erwischt hatte. Erstens. Zweitens war es kein Angehöriger der Luftwaffe gewesen. Korpsgeist. Es war de facto ein Arbeitsunfall. Handelte es sich doch bloß um einen Werkspiloten. Bedauerlich, natürlich.

Von Kettenberg wäre aus der Haut gefahren, wenn er solches gehört hätte. Das wussten sie. Also sprach man dergleichen besser nicht aus. Wenigstens nicht hier.

Ja sicher. Es war eine , aber was half es? Wenn man das alles nicht im Zimmer des Generalluftzeugmeisters von Kettenberg erörterte, dann war das schon die halbe Miete, oder nicht?





Alle Männer im Raum schauten nun in gespannter Erwartung zu ihrem Chef. Es war allen bekannt, dass von Kettenberg mehr Luftwaffenbeamter war als Militär. Dazu kam noch: Er war bei Göring nicht allzu gut angeschrieben. Der Reichsmarschall mochte von Kettenberg als Person nicht. Was wiederum bedeuten konnte, dass er keinen großen Rückhalt im Reichsluftfahrtministerium erhielt.

Das musste man als junger Luftwaffenoffizier auch bedenken. An von Kettenberg als integre Person und fachlicher Autorität gab es keinen Zweifel. Aber von Kettenberg war ein privater und enger Freund des durch Selbstmord aus dem Leben gegangenen Fliegergenerals Ernst Udet gewesen.

Udet war eigentlich immer der begeisterte fliegerische Künstler geblieben, der er seit dem Ersten Weltkrieg gewesen war. Er malte mit seinem Flugzeug Figuren an den Himmel und mit seiner Feder Figuren auf Papier. Er konnte über fast alles herzlich lachen und nahm zum Leidwesen seiner früheren Weltkriegskameraden, die nun fast alle so hoch aufgestiegen waren, vieles nicht so ernst wie man es von ihm erwartete. Er war ein lebenslustiger, humorvoller Mensch geblieben. Er liebte es, am Himmel Geschwindigkeitsrekorden nachzujagen und zu fachsimpeln. Er flog selbst Maschinen ein und gab als Generalluftzeugmeister auch anderen Herstellern eine echte Chance, an die Öffentlichkeit zu treten. Hatte dieser Mann denn nie erkannt, wohin die Reise ging? Bei aller Mühe, die er in seiner Funktion hatte, vergaß er nie zu fliegen und zu lachen. Und er war ein begnadeter Karikaturist. Seiner spitzen Feder entging wohl außer Hitler niemand. Auch Göring nicht. Er selbst auch nicht. Solche Zeichnungen verschenkte er sehr gern. Natürlich signiert. Udet war sehr populär und beliebt.

Göring hatte diesen Mann um seine Popularität immer zutiefst beneidet.

War Udets Selbstmord eigentlich nur logisch und folgerichtig? Man könnte es fast meinen. Es gab Freunde aus Udets Umgebung, die die fast schmerzhaft treffenden Karikaturen des Generals sammelten. Udet sah auf seinen Zeichnungen immer wie ein kleiner kampflustiger Igel aus, der sich rein zufällig in ein Flugzeug verirrt hatte und nun mit der Situation zurecht kommen musste. Im Allgemeinen lachte der Igel dabei auch noch. Andere von ihm gezeichneten Personen lachten auf den Bildern nicht. Und darüber auch nicht.

Als Zeichen erhielt Ernst Udet zunächst einmal Flugverbot. Von Reichsmarschall Göring. Das könnte der Anfang von Udets Ende gewesen sein. Dem Adler wurde das Fliegen verboten und dem Igel das Lachen abgewöhnt. Wenigstens offiziell hatte Udet dann auch das Zeichnen aufgegeben. Aber er geriet immer mehr in Widerspruch mit seiner obersten Führung. Das Klima wurde eisig.

Jetzt spielten auch persönliche Animositäten immer mehr eine Rolle. Vor allem bei hochgestellten Leuten, die den Realitätssinn verloren hatten. Ernst Udet zerbrach daran. Er erschoss sich. Beigesetzt wurde er mit einem Staatsbegräbnis. Wiederum als Zeichen . Nicht alle führenden Männer des Dritten Reiches waren traurig über Udets Ableben.

Aber General von Kettenberg war schon immer mit Udet befreundet gewesen. Das nahm man ihm übel. Vor längerer Zeit hatte Kettenberg eine kleine Sammlung von Udets Karikaturen in einer angetrunkenen privaten Runde herumgezeigt. Unbedacht und vertrauensvoll. Ein Fehler, wie sich bald herausstellen sollte. Er war ziemlich gewesen, und so hatte er gar nicht gemerkt, dass das Lachen einiger Kameraden sehr gekrampft wirkte. Keiner machte den Versuch, sich in den Besitz einer solchen Zeichnung zu bringen. Oder sie ihm betrunken abzubetteln. Auf jeden Fall war dieser höheren Ortes bekannt geworden. Durch wen auch immer. Und seitdem stand Kettenberg allein auf weiter Luftwaffenflur. Das war nun allgemein bekannt. Sein loyal zu ihm stehender Adjutant Major Wernicke hatte mit all dem nichts zu tun, trug aber tapfer die Folgen all dessen mit. Aber sein damaliger Adjutant, Major Martin, wurde alsbald von ihm abgezogen und begleitete nun im Reichsluftfahrtministerium eine wichtige Stelle als Oberstleutnant. Immer in Reichweite des Reichsmarschalls. Er hatte bereits das Deutsche Kreuz in Silber für gute Planungs- und Führungstätigkeit erschlichen und war nun stark . Da konnte man also ganz sicher noch so Einiges erwarten.

Allen Männern hier im Raum war bekannt, dass man Kettenberg einen erneuten tödlichen Absturz nur schwer verzeihen würde. Auch wenn er dafür ursächlich nicht verantwortlich war. Aber es wäre irgendwie doch sein Mitwirkungsbereich. Wenigstens die Auslegung würde so sein. Ursache wäre dann wie immer seine Laxheit, sein nachlässiger Führungsstil, sein Desinteresse. Seine undeutsche Humanitätsduselei. Natürlich fehlte es ihm am Glauben an die Mission Großdeutschlands, und er hatte Zweifel am Endsieg. Da konnten ihm doch die Flugzeuge herunterfallen wie die Blätter im Herbst! Jawohl!





Und hatte er denn überhaupt noch die Übersicht in seinem Laden?

Diese Anfrage kam vor längerer Zeit über die allseits beliebte Hintertreppe zu ihm. Kettenberg glaubte, dass an dieser Fragestellung ein bald frischgebackener Oberst zu erkennen wäre.

Für alle diese so nordisch Durchgebildeten mit dem feststehenden nationalsozialistischen gedanklichen Überbau hatte der menschliche Aspekt keine Bedeutung. All das Leid, was damit einherging, hatte für diese Leute noch nie existiert. Sie mokierten sich aber öffentlich über die Zeit, die verloren war, und über die Mittel, die dem Reiche in seinem heldenhaften Kampfe abverlangt worden seien. Dass es sich dabei zunächst um rein private Ausgaben handelte, das wollten sie nicht sehen.

Dass sich Forscher, Entwickler und Konstrukteure zwischenzeitlich das Leben nahmen, weil sie nicht damit zurechtkamen, dass wieder einmal Opfer zu beklagen waren, war in ihren Augen die Flucht und Desertion von Feiglingen und Schwächlingen. Das waren doch nur die moralischen Kümmerlinge aus der . Und die Anderen? Das waren doch nur nachgeordnetes subalternes Gesindel und bloß Werkspiloten.





Von Kettenberg war dies alles bekannt und es widerte ihn unsäglich an. Er gab Wernicke nicht zum ersten Mal den Auftrag, im Einvernehmen mit dem Hersteller alles für eine würdige Beisetzung zu organisieren. Anschreiben an die Familie. Tiefempfundenes Beileid. Wie leider schon oft genug gehabt.

Die beiden Luftwaffenoffiziere wurden sofort in die Spur geschickt, um sicherzustellten, dass die Reste der abgestürzten Maschine auch wirklich vollständig geborgen und vor fremdem Zugriff bewahrt wurden. Sie mussten für eine sachgemäße Auswertung zur Verfügung stehen. Denn auch hier war ein Gutachten durch Fachleute erforderlich und keine Schwafelrunde von Blasenrednern und Parteionkels.

Tief im Innern wusste der General, dass die Schlapphüte wieder schneller und rücksichtsloser sein würden. Die Herren mit dem ›SD‹-Abzeichen auf den Ärmeln waren keinesfalls zu unterschätzen und verflucht ernst zu nehmen. Unter dem Strich würden er und seine Männer wieder nur die Reste zusammenfegen und sich die Prügel abholen dürfen.





Als der General, also Generalingenieur und Generalluftzeugmeister dann in seinem Arbeitszimmer, in seinem Schreibtischsessel allein war, schweiften seine Gedanken wieder einmal zu Ernst Udet. Der hatte vor ähnlichen und noch größeren Problemen gestanden. Der Griff zur Pistole war dann der eine einzige gangbare Weg für ihn gewesen. War er deshalb als Feigling zu betrachten? Doch wohl nicht! Was aber sollte er, der General von Kettenberg, jetzt tun? Er konnte grübeln soviel er wollte, er kam zu keinem Ergebnis.

Da klingelte das Telefon. Natürlich! Es war der Apparat mit der Direktleitung zur Gestapo.

 

 

„Also Mutti, ich wollte es nur gleich sagen: Unsere halbe Seminargruppe hat sich heute freiwillig zum Heer gemeldet. Ich mich auch.“
Elisabeth fühlte sich, als hätte man ihr einen Schlag mit dem Holzhammer versetzt. „Waaas hast du?“ flüsterte sie völlig entgeistert.
„Ich habe mich zum Heer gemeldet. Ich werde Funker. Das hat man mir zugesagt. Und du weißt ja, ich habe Onkel Ali versprochen, mich nicht zur U-Boot-Waffe und nicht zur SS zu melden. Das habe ich eingehalten. Ob ich nun ein halbes Jahr früher oder später einrücke, das macht doch nichts. Und so bekomme ich eine Spezialausbildung als Funker! Also ich freue mich.“
Elisabeth saß in der Küche und war wie gelähmt. Dieser wahnsinnige, dumme Junge! Meldet sich freiwillig in den Krieg! Da sagt doch dieses große Kind, es mache nichts aus, wenn er ein halbes Jahr eher in den Krieg zöge. Elisabeth konnte es nicht fassen.
„Weißt du, Mutti, die Alliierten haben jetzt ein neues Verfahren entwickelt, wie sie unsere Luftabwehr massiv stören können. Aber auch wir halten Schritt! Das ist alles so interessant, und notwendig ist es auch. Und weißt du, was das Beste ist? Die Grundausbildung bekomme ich in Hamburg! Fünf von meinen Kommilitonen müssen runter nach Konstanz am Bodensee. Die waren vielleicht neidisch auf mich! Ich kann aber vielleicht jedes Wochenende nach Hause kommen. Oder ihr kommt mich in der Kaserne besuchen. Da könnt ihr mich auch mal sehen, wie ich draußen Wache stehe.“
Und so ging das fort. Heiter und unbekümmert. Elisabeth konnte noch immer nichts sagen. Wusste er denn gar nicht, worauf er sich eingelassen hatte? Las er denn die Zeitungen nicht? Jeden Tag die vielen Gefallenen-Anzeigen! War er geworben worden? Oder hatte er sich freiwillig gemeldet in einer Art Euphorie? Hatte er dem Herdentrieb gehorcht? Ganz egal. Es war geschehen! Hoffentlich geht alles gut! Völlig sinnlos fragte sie ihren Jungen. „Ja aber Fritz, wie ist das denn gekommen?“
„Da waren zwei Heeresoffiziere im Seminarraum, die haben ganz offen von allen Schwierigkeiten erzählt, die sie da draußen hatten. Verwundet waren sie auch schon gewesen. Aber sie haben auch gesagt, dass die besten militärischen Ergebnisse dann kommen, wenn die richtigen Leute am richtigen Platz wirksam sind. Wenn wir uns jetzt melden, dann können wir in Abhängigkeit von unserer Gesundheitsstufe weitgehend beeinflussen, wo wir ausgebildet werden. Wenn wir dagegen mit dem großen Schwung eingezogen werden, dann sind wir Massenware. Das ist doch einleuchtend, oder? Und als Fußlatscher zum Ural oder zum Atlantik zu traben, habe ich keine Lust. Die anderen Soldaten werden laufen, aber ich als Funker werde gefahren und kann mich ausruhen. Außerdem sind die Funker doch immer ein bisschen weiter hinten. Wie sollten sie denn sonst in Ruhe funken können? Und weil du einen faulen Sohn hast, will ich halt Funker werden.“...

 

 



JBüro Röder
Bordeaux-Mérignac, März 1944


Kaputtschuften konnte man sich! Fertigmachen konnte man sich hier! Und alles im Dienst am Reich! Röder lehnte sich in seiner Unterkunft hochzufrieden in seinem Sessel zurück. Mann, war das ein Tag gewesen! Der Obersturmführer war von diesem Tag begeistert. Das war , wie es im Lied hieß. Aber wie schwarzer Samt und silbrig weiße Seide. So, wie das Material auszusehen hatte, aus dem seine Hauptsturmführeruniform sein sollte. Und das würde nach Lage der Dinge nicht mehr lange dauern. Denn des Obersturmführers Bitte war erhört worden - von wem auch immer.

Ein hammerharter Sabotagefall war aufgetreten. Es hatte Tote und Verwundete auf deutscher und französischer Seite gegeben. Eine ›Condor‹ war unrettbar im Eimer. Und es hatte Schäden an französischen Wohnhäusern gegeben. Aber alles schön der Reihe nach, sagte sich Röder und streckte sich behaglich, ehe er den Tag für sich Revue passieren ließ.

Der heutige Abend, das wusste er schon, würde auch nicht ganz uninteressant werden. Ging es doch zum ersten Mal in den ›Goldenen Hahn‹ - in diesen sagenhaft geheimnisvollen ›Coque d’or‹, diese Fliegeroffizierskneipe. Da kam nicht jeder hin, da musste man mitgenommen werden. Der Wirt wurde gar nicht gefragt. Der wurde so mit Geld zugeschmissen, der wagte keinen Widerspruch.





Röder war ziemlich früh über den Flugplatz geschlendert. Die verkaterten Flieger standen herum und schwatzten müßiges Zeug. Das Bodenpersonal schuftete wie blöd, und die Wachtposten konnten sich aufbauen, wo sie wollten, sie standen im Wege. Flugplatzbetrieb also. Eine ›Condor‹ sollte gleich starten. Alle Vorbereitungen waren routinemäßig getroffen. Alles verlief wie es sein sollte. Flieger und Besatzung winkten Röder von Weitem zu. Andere wünschten laut einen guten Morgen. Keiner hier hatte vergessen, dass Röder zwei Flugzeuge und deren Besatzungen gerettet hatte. Röder winkte und grüßte zurück.

Aber auf einmal meldete sich im Obersturmführer ein seltsames Gefühl. Er hätte nicht sagen können, warum. Als er dann die Focke Wulff ›Condor‹ abheben sah … während die Maschine stieg und vielleicht sechzig Meter Höhe gewonnen hatte, begann der erste Motor zu brennen. Danach fingen zwei weitere Motoren Feuer. Die Maschine begann sich in der Luft schräg zu legen und fiel in erschreckendem Tempo herunter, beschrieb aber eine Kurve und flog - von dem einen Motor gebremst, etwas langsamer vorwärts. Das alles war noch im Randgebiet von Bordeaux-Mérignac geschehen. Den Aufschlag konnte hier keiner hören. Dafür war die Unglücksstelle zu weit weg.

Röder hatte die brennenden Motoren gesehen und wie das Flugzeug nach vorn kippte. Da raste er schon zu einem Telefon und alarmierte die Feldgendarmerie, die Bereitschaft der deutschen Polizei und natürlich die Gestapo. Die würde ja dann sowieso das Reichssicherheitshauptamt hinzuziehen. Er ging sehr folgerichtig davon aus, dass die Anwohner die Feuerwehr und Rettungswagen selbst rufen würden. Das war ein Teil seiner Stärken, analytisch zu denken. Er war wirklich stolz auf sein Vermögen, die Aufwand- Nutzen-Befugnis-Erfordernis-Rechnung blitzschnell aufzustellen.

Nun musste er selbst zum Unglücksort. Unglücksort? Mann - Glücksort! Das war der Ort, an dem er unverschämtes Schwein hatte! Das stand jetzt schon für ihn fest.

Was er jetzt zu sehen bekam, beflügelte ihn ultimativ. Das war für viele Menschen, die hier gelebt hatten, der Weltuntergang. Für ihn aber ging die Sonne auf!

Die langen, breiten und schweren Tragflächen des Flugzeugs hatten einige der in lockerer Ordnung stehenden kleinen Häuser schwer beschädigt. Ein von der Straße hochgesprungener Motor war brennend in ein Dach eingeschlagen. Das Haus brannte unrettbar ab. Zum Zeitpunkt des Unglücks waren Menschen in den Häusern. Wie viele Tote und Verwundete es gegeben hatte, wusste niemand. Ein Motor war mit noch drehendem Propeller in die Fassade eines Hauses eingeschlagen. Alles war ein Bild des Schreckens.

Nur für Röder nicht.

Fast zeitgleich mit ihm waren die Gestapo und ihre bewaffnete Formation in SS-Uniform eingetroffen. Alle Menschen wurden aus ihren Häusern geholt und auf Lkws geladen. Ganz gleich, in welchem körperlichen und seelischen Zustand sie waren. Verwundete kamen in ein Krankenhaus und bekamen eine Wache dazu. Die gefundenen Toten wurden abgefahren, um ihre Identität festzustellen und die Berechtigung, sich hier aufzuhalten. Das war Polizeiarbeit wie überall auf der Welt. Die Rettungswagen wurden nicht mehr gebraucht. Aber vorher wurde ermittelt, wer sie gerufen hatte. Diese Leute wurden eingesammelt. Wo gab es denn so etwas, den Absturz eines deutschen Flugzeuges so einfach breittratschen!

Die deutschen Polizisten wurden gleich mit eingespannt, als sie endlich vor Ort waren. Zwei französische Gendarmen der hiesigen Gendarmerieverwaltung wurden belehrt, dass Fragen von Zivilisten nicht beantwortet werden. Wer zu auffällig nachfragte, sei zu verhaften und der Gestapo zu übergeben - schwerste Bestrafung bei Nichtbefolgen! Die beiden nickten, sprangen auf ihre Fahrräder und waren verschwunden. Auch die Feuerwehr wurde wieder weggeschickt. Aber von Röder persönlich, weil sie wie immer und überall auf der Welt zu spät gekommen sei. Ob sie nun deutsche oder französische Feuerwehrleute seien, wäre ihm scheißegal, sagte er lachend. Ja, Gemüt und Verständnis hatte er eben auch.

Hatte er an alles gedacht? Halt! Die Pfeifen vom Luftgau würden wahrscheinlich angerannt kommen, um alles einzusammeln. Aber daraus würde nichts werden. Hier hielt Röder den Deckel auf dem Topf!

Und dann kam der absolute Oberhammer! Dort unter den Trümmern, ganz unter all dem Schrott, bewegte sich etwas. Ein Überlebender! Einer, der Auskunft geben konnte. Ein deutscher Offizier hatte den Absturz überlebt! Röder rotierte nun wirklich. Wenn auch aus anderen Gründen, als gemeinhin angenommen wurde. Der schwer verletzte Mann wurde mit aller möglichen Vorsicht und in größter Eile in einem Mannschaftswagen quer auf eine Bank gelegt. Uniformjacken drunter! Zudecken! Los! Ab ihr Arschlöcher! Der Flieger war bewusstlos. Er stank nach Verbranntem - die Uniform, der Kraftstoff, das Flugzeug selbst. Menschenfleisch und verkohlte Knochen.

Ein Soldat wollte dem Manne schonend den Arm zurechtlegen. Es machte leise , und der Rottenführer hielt den Arm in der Hand. Der fiel danach in Stücken zu Boden, völlig verkohlt. Röder ließ sich alle auskotzen, denen danach zu Mute war. Er hatte dergleichen bereits ausreichend in diesen , wie seine Exfrau Sigrun es genannt hatte, in den Krematorien gesehen.

Komisch, bei diesem Anblick erinnerte er sich an seine gewesene Gattin. Wenn die das wüsste!

Röder erließ noch einen ganz gewaltigen Befehl: Alle Trümmer werden nach dem Flugplatz Mérignac gebracht. Niemand bekommt auch nur ein Stückchen Unfallschrott.

Dabei hätte er doch eigentlich sagen müssen ! Der Motor, der das Haus abgebrannt hat, der wird auch dort abgeliefert. Der hat doch nicht umsonst gebrannt … Dann bestellt doch einen Kran! Oder soll ich hier alles alleine machen? Ich mache jetzt die Lagerhalle klar. Meldung an mich nach vollständigem Vollzug, verstanden? Haben Sie mich verstanden, Oberscharführer? Nachdem es endlich hatte, fuhr Röder ab. Die Brüder brauchten hier alle ein bisschen mehr Dampf! Das konnten sie haben. Die kannten ihn eben noch nicht!





Jetzt begab sich Röder in das Garnisonsspital. Er machte sehr eindringlich klar, dass dieser soeben eingelieferte Flieger am Leben zu bleiben habe. Auch wenn noch sonstwas von ihm abfallen sollte. Der Mann hatte am Leben zu bleiben. Nein! Wenn er mehr Morphium nicht verträgt, dann bekommt er eben keins! Wer den Schmerz noch spürt, ist doch noch am Leben.

Alles das wurde ihm bestätigt oder zugesagt. Aber mit dem am Leben bleiben … Röder sah den Oberarzt in Rang eines Hauptmanns an. Er knurrte bloß:

»Herr Stabsarzt …«

Mehr sagte er nicht. Oder noch, dass er morgen Nachmittag wiederkommen würde. Dabei würde er bleiben, bis der Mann aufgewacht sei oder ansprechbar.

Damit er nichts falsch machte, verabschiedete sich der Arzt mit dem Deutschen Gruß. Röder nickte kenntnisnehmend und grüßte zurück. Jetzt noch die Halle klarmachen oder freiräumen lassen.

Nun konnte der Teil des Tages beginnen! Sein Debut im ›Coque d’or‹. Darauf hatte er doch schon lange gewartet! Heute würde es noch ohne die Flieger gehen müssen, da würde ihn eben der ›Kaczmarek‹ des Flughafens, Hauptmann Mathiessen den . Da machte er etwas Vernünftiges!

In seiner Gesäßtasche drückte ihn etwas.

Es war die Brieftasche des halb verbrannten Fliegers. Wie hieß der? Ach nee! Ein ›von Saltzwedel‹. Na jetzt wedelt der nicht mehr, dachte Röder.

Röder schaltete nun um auf »Belohnung«. Er wollte sich doch auf heute Abend freuen. Und das war in etwa einer Stunde. Er würde eine neue Schenke kennenlernen. Dabei hatte er doch schon so Einiges in Frankreich auf seinen Dienstreisen kennengelernt.

Hier in Bordeaux musste man natürlich dem Bordeaux zusprechen. So hatte er es ja auch in der Champagne gehalten. Dort hatte er das Krabbelzeug flaschenweise in sich hineingeschüttet. Voller Sachverstand natürlich. Dasselbe in Armagnac. Der Likör von Armagnac - einfach herrlich. Und was trank man im Cocnac? Aber im Medoc! Der Unicum Cordial Medoc! Da war man übrigens ziemlich schnell fertig. Na, die Normandie mit ihrem Cidre und dem Pernod … ging gerade so … in Paris den Pastis. Danach geht’s dir fies. Oh Gott! Lakritzschnaps! Da fallen dir alle deine Sünden ein.

Und … da klopfte es. Röder wurde abgeholt. Vor der Tür stand Hauptmann Mathiessen. In seiner täglichen Dienstuniform. Nicht ein bisschen schick gemacht? Wenn er sich dabei wohlfühlt, dann soll er es so halten. Für Röder war es der Antrittsbesuch.





Mathiessen und er wurden von einem kleinen Mann begrüßt. Der Maitre selbst hatte sich augenscheinlich auf diesen Abend vorbereitet. Seine Tracht war vollkommen sauber und wirkte elegant. Sein Gesicht mit seiner braunen Haut, den schwarzen Augen, den schmalen schwarzen Augenbrauen und dem Menjoubärtchen ließen ihn wie einen Italiener, einen Südfranzosen, einen Korsen oder wie einen Spanier wirken. Röder dachte belustigt bei sich: Der Kamerad passt auf jeden Steckbrief! Dabei schlug er die Augen nieder. Der Wirt sollte nicht sehen, dass er den Obersturmführer erheitert hatte. Dadurch wiederum konnte Röder nicht sehen, dass der Wirt ihn mit kurzem scharfem Blick taxiert hatte. Aber die Begrüßung war vollendet.

»Oh, Bon soir Messieurs! Voilà un capitaine bleu et un capitaine noir!«

Röder dachte bei sich, dass der Mathiessen ein blau-grauer Hauptmann sei, wenigstens jetzt noch. Heute Abend würde der dann blau sein und morgen früh grau. Vor allem im Gesicht. Er selbst, Röder war zwar in schwarzer Uniform hier, aber noch kein Hauptmann. Dennoch freute er sich über die Beförderung durch den Wirt. Außerdem würde es ja nicht mehr lange dauern, dann war er wirklich Hauptmann. Also Hauptsturmführer.

Das Essen war vorzüglich. Getrunken wurde, was hineinging. Mathiessen hielt den ganzen Abend den Mund. Er bekam extra kleine Portionen über den Abend serviert. Zwischenzeitlich schlief er ein und trank aber immer wieder alles aus. Bei Röder waren Gläser und Teller immer leer.

Röder fragte Mathiessen, wann denn dieser wirklich hübsche goldene Hahn, der draußen vor der Tür hing, wohl geklaut worden sei. Mathiessen nickte und sagte, dass er sich das auch schon gefragt habe.

Das war dann schon der größte Teil der Konversation.

Aber Röder ließ es sich nicht verdrießen. Er war - genau wie er es gewollt hatte - in Frankreich, und das genoss er jetzt und hier. Diesen Tag ließ er sich unter keinen Umständen kaputtmachen, auch von einem maulfaulen Hauptmann Mathiessen nicht.

Er war heute erfolgreich gewesen, und auch das genoss er. Es war ihm durchaus klar, dass dieser Tag für andere absolut kein Genuss war. Wer bei ihm war …

Mit großer Freude sah er, wie sich die Gedecke abwechselten. Der Abend war für Röder gelungen. Genau zur befohlenen Zeit wurden sie wieder abgeholt. Nicht ohne wieder einen solchen Abend zu vereinbaren.

So musste es sein, das Leben in Frankreich!

Als die beiden Offiziere abgezogen waren, ging der Wirt in die Küche zu seiner Frau. Die sah ihm sofort an, dass etwas Ungewöhnliches geschehen war. Ihr Mann sagte halblaut:

»Babette, ma cheri, er ist es gewesen. Mit diesem versoffenen Hammel Mathiessen. Ja, er ist es, der deinen Vater …«. Babette stand da mit den Händen vor ihrem Mund …

Dieser Obersturmführer hatte ihren Vater auf der Straße verhaftet. Als Geisel. Babette, die von einem riskanten Gang für die Resistance nach Hause kam, hatte das gesehen. Und sie konnte nicht helfen. Ihr Vater aber hatte so getan, als kenne er sie nicht - das einzig Richtige, was er tun konnte. Zurückgekehrt war ihr Vater nicht.

 

 






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